Habemus oleum! Und ein Radiointerview auch …
Positive Drinking macht auch in Öl? Aber immer! Die Menge, die ein Normalsterblicher an „richtig gutem“™ Olivenöl im Idealfall wöchentlich zu sich nehmen sollte, fällt quantifizierbar unter „trinken“. Ein „richtig guter“ Produzent, gab – auf meine Frage, was denn eine realistische Dosis sei – als Faustformel zu Protokoll („¡esto te lo puedes apuntar!“): Zweipersonenhaushalt = 0,5 l / 14 Tage. Bei entsprechend kulinarischer Umtriebigkeit („Ich brauche täglich fünf Mahlzeiten, drei davon warm!“, Jour fixe im Freundeskreis mit Tapas, Antipasti, Mezze und copeo continuo bzw. vino obbligato) dann eben entsprechend mehr. Was aber ist „richtig gutes“™ Olivenöl und woran erkennt man es?
Das sind zwei in der Theorie recht eindeutig zu beantwortende Fragen, da gibt’s kein Vertun. Je nach Disposition, Problembewusstsein, Realitätsbezug und/oder inhärentem Zynismus startet mit dem Erkennenwollen eine Art Hindernislauf, fette Hürden und noch fettigere Schikanen inklusive. Der Hessische Rundfunk hat mich jüngst im Rahmen seiner Sendung „Dolce Vita“ (ausgestrahlt am 15. Augut 2015) zu diesem Thema interviewt – hier lässt’s sich’s nachhören:
Interview Teil #1 (3:45 min) Interview Teil #2 (2:41 min)Die Olivenfruchtfliege (Bactrocera oleae) und das ähnlich anmutig benamste Killerbakterium Xylella fastidiosa mal beiseite – auf der Suche nach qualitativ (und gustativ) erstklassigem Olivenöl kommt man um den Selbstversuch, die Verkostung, im Grunde nicht herum. Im Idealfall probiert man also das Olivenöl vor dem Kauf, in der besten aller Welten leben wir umgeben von Fachhändlern, die uns ihre Ware selbstverständlich niemals „blind“ verkaufen würden.
Was für Profis Alltag und leichte Übung, ist dem Verbraucher häufig ein mittleres Rätsel: Welches ist das gute Öl? Und (noch einmal und richtig hartnäckig): Wie, womit, woran erkennt man es? Das Öl, das die noch immer allzu oft mit Gusto und System missbrauchte Kennzeichnung „extra nativ“ bzw. „extra vergine“ oder „virgen extra“ tatsächlich verdient?
Man erkennt es (ganz einfach!) am Duft.
Auch ein professioneller Verkoster schielt nicht auf das Datenblatt einer chemischen Analyse aus dem Labor, sondern vertraut seiner Nase. Und diese erwartet vor allem eines: Frische! Das wichtigste Qualitätsmerkmal eines wirklich perfekten Öls ist sein frischer Duft. Das häufig zitierte frisch geschnittene Gras, die noch grüne, unreife Olive, Oliven- oder Tomatenlaub, grüne Tomaten, ebenso grüne Banane, Artischocken, Kräuteraromen, sogar zitrische Noten sind beste Indizien für ein hervorragendes Produkt, bei dem vermutlich alles stimmt: die Qualität der Oliven, der Erntezeitpunkt sowie die Arbeit in der Ölmühle.
Zum Beweis verdichtet es sich, wenn der Gaumen die aromatische Frische und Fruchtigkeit bestätigt. Und nicht nur diese. Die letzten Puzzle-Teile, die das im besten Fall harmonische große Ganze komplettieren (und die auch den routiniertesten Verkoster immer wieder beglücken) sind Bitterkeit und Schärfe. Ja doch! Auch wenn es sich in Konsumentenkreisen noch nicht herumgesprochen haben sollte bzw. manch zarte, salatölgeeichte Seele es ablehnt: bitter is better! Und Schärfe dein Freund! Denn beide Empfindungen werden von sogenannten Polyphenolen verursacht, Antioxidantien, die in einem guten Öl in Hülle und Fülle vorhanden sind. Nicht nur machen sie das Olivenöl in ernährungsphysiologischer Hinsicht besonders wertvoll, sondern sind maßgeblich für die Haltbarkeit eines „extra vergine“ verantwortlich. Es kratzt am Hals? Wunderbar, so soll’s sein! Für Polyphenole (und die ebenfalls vorhandenen Tocopherole) gilt: je mehr, desto besser. (Dass man mit diesen Stoffen ein Olivenöl auch nachträglich aufpeppen kann, erwähne ich an dieser Stelle gar nicht …)
Leider lässt sich so eine Verkostung in der Praxis nicht eben einfach nachstellen. Noch wird Olivenöl bevorzugt im Supermarkt gekauft, selten beim oft bemühten „Ölhändler des Vertrauens“. Für den Kauf im Super- bzw. Biomarkt, der zumindest in Sachen Olivenöl nicht selten einem Nacht- oder gar Blindflug gleicht, gibt es – wie schon im Interview erwähnt – ein paar recht brauchbare Anhaltspunkte:
Trotz der Lieblingsdisziplin der Olivenölmultis im Wettkampf mit dem Verbraucher – dem Etikettenschwindel – lässt sich doch einiges aus den Angaben bzw. dem Fehlen derselben ablesen. Das ideale Etikett sähe so aus: Name des Produzenten, eventuell auch der Name des Öls (obschon „Grünes Gold“ oder „Seele des Hains“ keinerlei Aussagekraft besitzen), dann die Olivensorte (Picual wird immer anders schmecken als Frantoio, dieses unterschiedet sich grundsätzlich von einem Coratina-Öl etc.), die genaue Herkunft (also nicht: „eine Mischung aus Olivenölen der Europäischen Union“, sondern z. B. aus „Greve in Chianti“, Florenz/Italien), das Erntedatum (je genauer, desto besser: „Oktober 2014“ wäre schon sehr gut, der genaue Erntezeitpunkt ein Traum – manche Produzenten ernten die Oliven für ihr bestes Öl an einem(!) spezifischen(!) Tag –, etwa „17. Oktober 2014“) und – jetzt eine Angabe, die leider extrem selten ist – das Abfülldatum. Und wenn ich mir etwas wünschen dürfte: der Name des Ölmüllers. Denn nicht jeder Produzent besitzt eine eigene Ölmühle, muss seine Oliven also andernorts pressen lassen. Interessanterweise stammen viele der Top-Öle der letzten Jahre von einem deutlich kleineren Kreis von Ölmüllern, als es die Anzahl der Produzenten vermuten ließe.
Ein weiterer Tipp: Mehr Transparenz! Nicht nur beim Etikett, sondern auch beim Öl selbst. Ein hochwertiges „extra vergine“ ist filtriert. Basta. So hübsch, so unberührt, so authentisch ein dickflüssig-trübes Öl anmuten mag – im ungünstigsten Fall ist es nur wenige Wochen haltbar, denn die Restbestandteile unterminieren massiv seine Stabilität.
Noch einer: Öl bevorzugt in dunklen Glasflaschen oder komplett lichtundurchlässigen Blechdosen kaufen – UV-Strahlung ist Gift. Und weil ich gerade dabei bin: Jeder hat vermutlich schon einmal diese hübsch in goldfarbener Alufolie verpackten Olivenölflaschen gesehen. In punkto Lichtschutz stimmt hier alles, aber … Es könnte tatsächlich ein ganz dummer Zufall sein, aber in all den Jahren, in denen ich Olivenöl verkostet habe, ist mir noch nie(!) ein goldgeschürztes extra vergine untergekommen, das sich nicht als enttäuschend mittelprächtig bis empörend indiskutabel entpuppt hätte. Für den Fall, dass jemand eine Ausnahme dieses Phänomens kennt: Nur her damit, bin für jeden Hinweis dankbar.
[Nachtrag: Das kommt davon, wenn man blind verkostet … – die einsame Ausnahme! (die in diesem Jahr die Regel bestätigt?)]Und noch einer, den ich im Interview auch schon genannt habe: Ein „richtig gutes“™ Olivenöl kostet entsprechend Geld. Ein Produzent aus Andalusien, der auf Oliven aus superintensivem Anbau zurückgreift, kann sein Öl günstiger als der toskanische Kleinbauer anbieten. Der Preis für die Halbliterflasche aceite de oliva virgen extra kann bei uns dennoch nicht unter acht Euro liegen! Bei einem hochwertigen olio di oliva extra vergine aus der Toskana, macht der Produzent bei diesem Preis Verluste, ganz egal ob Kleinbauer oder konsolidierter mittelständischer Betrieb.
Es sei denn, es handelt sich um eine jener berühmt-berüchtigten Firmen, die seit Jahren, ach was!, Jahrzehnten dasselbe Spiel spielen. Das Spiel heißt in seiner Originalausgabe Wie kann ich mit billigem Olivenöl möglichst viel Geld machen? Historische und aktuelle Varianten hießen und heißen ganz ähnlich, man ergänze nach Belieben die Worte fremd, minderwertig, Reibach und gleichgültige bis ahnungslose Verbraucher sowie die eine oder andere Klammer – (Oliven-) – und schon hat man eine recht gute Vorstellung davon, wie einseitig hier gespielt wird. Die Spielregeln sind recht simpel, genauer gesagt tun nichts zur Sache. Warum auch? Bei Bedarf werden sie ohnehin geändert. So geschehen im April 2011 – wir erinnern uns: Die EU-Verordnung (61/2011) tritt – honi soit qui mal y pense! – am 1. April in Kraft, sie genehmigt ab sofort den Verkauf „desodorierter“ Olivenöle mit der Gütebezeichnung nativ extra bzw. extra vergine/virgen. Das bedeutet nicht weniger, als dass minderwertige Öle zweifelhafter Provenienz mit einem Höchstgehalt von 150 mg/kg an Alkylestern (die aufgrund fehlerhafter Herstellungstechniken oder miserabler Olivenqualität entstehen) durch Bedampfung geschönt werden dürfen. Dabei ist zu bedenken, dass ein Olivenöl „nativ extra“ nur mittels mechanischer Verfahren bei maximal 27 °C gewonnen werden darf, der Wasserdampf aber bei der Desodorierung bis zu 266 °C heiß wird. Die Grundvoraussetzung für ein echtes extra vergine/virgen wird also komplett torpediert, geradezu vernichtet, und löst sich tatsächlich in heißem Dampf auf. Eine spezielle Kennzeichnungspflicht gibt es – naturgemäß?! – nicht. Solche „Frankensteinöle“ sind mir bei Verkostungen dann tatsächlich schon untergekommen: leuchtend grün, nah am Standardchroma eines Erkältungsbads einschlägiger Anbieter, im Duft komplett neutral, am Gaumen nur muffiges Schmiermittel. Flaschenpreis: im Schnitt 16 Euro für den halben Liter – vermutlich sind selbst die in der Formel 1 zugelassenen Motoröle günstiger zu haben. Eine Goldgrube, das! Die qualitativ höchste Olivenölkategorie kostet nach wie vor gutes Geld – vollkommen unerheblich was drinsteckt. Wer wollte da noch von Etikettenschwindel sprechen?
Was also tun? Letze Tipps: Wer kann, besucht ein Seminar zum Thema Olivenöl, nimmt an einem Workshop teil, schult seine Sinne und wirft nie wieder einen Blick zurück. Wer sofort (Ab-)Hilfe braucht, munitioniert sich mit der Juniausgabe der Zeitschrift Der Feinschmecker und liest den Artikel zum OLIO-Award 2015 – als Download beim Hessischen Rundfunk verfügbar –, studiert die Ergebnisse aus (in Kürze) sieben Jahren OLIO-Award auf www.olivenoeltest.de oder greift (nicht nur als Italien-Fan) zum Merum-Taschenführer „Italiens beste Olivenöle“, die Andreas März (selbst Produzent hervorragender Olivenöle) jährlich herausgibt. Ansonsten: Diesen Blog lesen – fantastische Öle folgen!
Image Credits: Maximiliano Arteaga & Positive Drinking.
Bin mit dem Inhalt in fast alle Punkten einverstanden, außer 2:
Filtrieren und Bitterkeit. Wir haben noch nie das Öl filtriert, sonder wir lassen es sedimentieren, und danach umfüllen. Ohne Probleme hält sich das Öl in perfekt Zustand über 1 Jahr oder 2. Die Struktur des Öls bleibt intakt. Filter können Fremdestoffe von sich abgeben.
Dem genaueren Zeitpunkt der Reifungsprozess der Oliven beim Ernten, die Olivensorte, die klimatische und geografische Lage der Pflanzen, die Böden, die vergangenen Zeit vom Ernte bis zur Pressung, und nicht zur letzte, dem Können der Mühle schaffen dem Gleichgewicht von Qualität und Geschmack her.