Weinrallye #89 – Sommerlaune Rosé

Meine erste Weinrallye und jede Menge Geständnisse – das erste gleich vorweg: Rosé ist für mich so wenig Sommerthema wie Whisky Winterthema. Will sagen: Beides trinke ich mit größtem Vergnügen das ganze Jahr hindurch. Das immer wieder mirakulöse Phänomen des Jahreszeitenwechsels beeinflusst mich hinsichtlich meiner Weinauswahl nach Farbvaleurs so gar nicht. Ich halte es da mit Maurice Sendak und der Hühnersuppe mit Reis: Es gibt immer einen ganz famosen Grund, warum sie gerade im Januar, Februar, März, April, Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober, November und Dezember so göttlich schmeckt – I told you once, I told you twice / All seasons of the year are nice / For eatin’ chicken soup, eatin’ chicken soup with rice!

Dazu etwas Rallye-ranting:
Weinralley89
Elizabeth Gabay MW hat jüngst im Decanter unter „Expert’s Choice“ ihre 20 Favoriten aus einem 36er-Feld von „Premium-Rosés“ vorgestellt, die sie im Rahmen eines von Richard Bampfield MW (yes, he of Lidl fame!) und Jean-Christophe Mau (Château Brown) organisierten Tastings im Mai verkostet hatte [Decanter, September 2015, S. 86/87]. Erstaunlich ist nicht das Ergebnis (19 x Südwestfrankreich, 1 x Sizilien), sondern das im Text mottohaft hervorgehobene Zitat „Once a rosé-sceptic, I am now excited by the quality and variety being produced“. Auch die beiden (rhetorischen?) Fragen zu Beginn ihres Protokolls – „Is premium rosé (above £15) a contradiction in terms? Should rosé be fresh and simple, not complex, weighty or oak-aged?“ – empfinde ich doch als recht kurios. Dass ein Lifestyle-Blättchen seiner sicherlich stetig wachsenden Leserschar die immer gleichen Themen und Vorurteile vorkauen muss – geschenkt. Aber eine Publikation wie der Decanter? „Naturgemäß“ (Th. B.) gibt es Scharen von (behutsam formuliert) fehlgeleiteten Weinphilistern, die (abermals behutsam formuliert), unglücklich prädisponiert, zum Teil bizarren Vor- und Nachlieben huldigen. Das Spektrum reicht von Klassikern wie

„Ich trinke ausschließlich trockene Weine“ (der anonyme Restsüßeignorant und Süßweinverächter)

oder

„Kein Rotwein zu Fisch!“ (der ängstlich Regelkonforme, der zudem genau weiß, das wirklich hochwertige Weine niemals (never, never, never!) aus einer Flasche mit Schraubverschluss stammen können)

und

„Sherry? Das ist etwas für alte Tanten!“ & „Sherry? Das ist kaputter Wein!“ (der „Weinkenner“ mit Einreiseverbot nach Andalusien)

über

„If anyone orders Merlot, I’m leaving. I am not drinking any fucking Merlot! “ (Paul Giamatti als Mike in Sideways)

bis

„I never drink … wine.“ (Béla Ferenc Dezső Blaskó aka Bela Lugosi in Dracula),

daher ist es vermutlich gar nicht so befremdlich, dass einem kanonisierten Sommernischenprodukt mit klar konturiertem Preisrahmen, ein so eindeutiger (winziger) Platz an der Sonne (Sitz im Leben) zugebilligt (zugemutet) wird.

Andererseits vermeldet eben erst (und recht verspätet) The world’s best wine magazine, dass der Rosé-Konsum in den USA so richtig Fahrt aufgenommen habe. Dazu passt dann auch, dass Glasgigant Riedel im April dieses Jahres seine Kollektion „Vinum“ um das Glas „Extreme Rosé (Provence)“ ergänzt hat, auf das vermutlich all jene gewartet haben, denen das „Sommeliers Rosé“ nicht vielseitig genug war. Denn siehe, das extreme Kelchlein eignet sich auch ganz vortrefflich für „Ausbruch, Auslese (sweet), Barsac, Beerenauslese, Dessertwine, Icewine, Jurançon moelleux, Loupiac, Monbazillac, Quarts de Chaume, Recioto di Soave, Sauternes, Tokaji (sweet), Trockenbeerenauslese, Vins Liquoreux“! [Quelle] Alles nicht ganz so rosa, aber doch ziemlich premium, oder?

Zurück zu den vermeintlichen Rosé-Abstinenzlern: Es ist immer wieder rührend, wenn solch seriöse Trinker von seriösen Weinen schon beim Apéritif einknicken und Damaskus quasi „oenotopographisch“ mit Épernay übereinstimmt. Die Frage „Roederer Cristal Rosé, die Dame/der Herr?“ (u. ä.) wurde –in meinem Beisein – noch nie abschlägig beschieden. Bei einem (zart-)pinken Crémant zögert man schicklich, um dann doch zuzugreifen, das Glas Cava (rosé oder nicht) wird häufig mit beschwörender Geste und konsterniertem Blick zurückgewiesen (alles schon erlebt). Oh, ihr (pardon!) Prestigepichler und Premiumpudel …

In diese Bresche mein zweites Geständnis: Ich liebe Cava.

Pacenote: Mein Herz so Xampany-farben

Xanpany – philologisch ziemlich korrekt, aber da meine Familie mütterlicherseits aus Kastilien stammt, nannte sie nämlichen Schaumwein immer champán. Zu Silvester gab’s bei meiner Urgroßmutter champán, meine Großeltern stießen mit champán an, meine Mutter, Tanten, Onkel orderten champán, wenn ihnen der Sinn nach Schaumwein stand. Irgendwann wurde dann plötzlich nur noch cava serviert. Um es gleich noch einmal zu schreiben: Ich liebe Cava! Die Benamsung ist an Fantasielosigkeit freilich kaum zu übertreffen – cava, weil Wein aus einem unterirdischen Keller, der im Spanischen (man glaubt’s kaum!) cava heißt. Was in Spanien in den 1840ern zögerlich perlte, nahm spätestens ab 1872 seinen sprudelnden Lauf, als in Sant Sadurní d’Anoia, dem katalanischen Äquivalent zu Épernay, Josep Raventós erstmals Spanischen Schaumwein (Marke: Codorníu) in entsprechenden Mengen produzierte, damals sogar noch auf Basis klassischer Champagnertrauben wie Chardonnay und Pinot noir, natürlich als champán und nach método champañés.

Da aber Frankreich das alleinige Namens- und Verwendungsrecht für diese Bezeichnungen beanspruchte, musste etwas anderes her. Ist ja auch leicht nachzuvollziehen, dass die „Erfinder“ des Champagnerverfahrens (Christopher Merret, England 1662), die ersten Produzenten der Glasflaschen, die dem enormen Druck der Kohlensäure standhielten (Kenelm Digbys onion bottle, England 1633), ja die ersten, die den Champagner so nannten und vermarkteten (wieder die Engländer, dokumentiert in George Ethereges „The Man of Mode“ von 1676), das Sagen haben wollen.

Was soll’s, dann ist mein Herz eben Cava-farben. Wie das (tatsächlich!) vieler Landsleute in Deutschland auch. Von den im letzten Jahr über 154 Millionen weltweit exportierten Flaschen Cava haben solide 30,5 Millionen ihren Weg zu uns gefunden. Mehr davon trinken nur die Spanier. Leider sind wir nicht allzu wählerisch, die Vorstellung von einem „leckeren“ Cava kulminiert immer noch in der hübsch gefrosteten Flasche von Freixenet in Weiß (Semi-Seco oder Seco) bzw. Schwarz (Brut) oder anderen Häusern, die in Sachen Flaschenästhetik ähnlich progressiv sind. (Nota bene: Es gibt exzellenten bubbly von Freixenet!) Dazu kommt: Cava soll das Budget schonen. Machen wir’s doch endlich den Belgiern nach! Denn die kaufen davon fast so viel wie wir (Tendenz steigend), dafür aber im Schnitt doppelt so teure Qualitäten (ist es ein Zufall, dass man dort die besten Tapas außerhalb Spaniens essen kann?). Aber was heißt schon teuer? Hinreißenden Cava – der, verwirrenderweise, nicht auf das Gebiet um seinen katalanischen Geburtsort beschränkt ist, sondern in insgesamt 159 Gemeinden der Provinzen Valencia, Navarra, Extremadura, Aragón und Burgos produziert wird – kann man hierzulande für knapp zehn Euro erwerben. Großartig wird’s ab 15, zum Niederknien ab Mitte 20. Herz (Cava-farben oder nicht), was willst du mehr? Namen. Namen!

Zum Beispiel diesen hier: Bodegas Hispano-Suizas, Tantum Ergo Pinot Noir Brut Nature 2013

Bodegas Hispano-Suizas Tantum Ergo Rosé Brut Nature

Schon fast spirituell schäumende Sommerlaune: Tantum Ergo

– mein erster Rosé für diese Rallye. Mit Thomas von Aquin auf den Lippen in Premium-Gefilde …! Die Namensnähe der Bodega aus Requena (Valencia) zur legendären Automobilschmiede ist kein Zufall, der monetäre Aufwand für das Endprodukt glücklicherweise sehr überschaubar. Ich behaupte jetzt sommerlich-kühn gestimmt und ganz ohne rosafarbene Brille: Dieser noch junge „Tantum Ergo“ (Thomas Weinregal hat ihn im Portfolio), der mindestens 15 Monate auf der Hefe liegt, trinkt sich wie eine Fahrt im Hispano-Suiza J12 an einem mit Palmen gesäumten paseo marítimo – unbeschreiblich elegant. You had to be there!

Zu guter Letzt Geständnis Nummer drei: Ich habe meinen Nachnamen gegoogelt.

In Verbindung mit Weinetiketten. Aus mir heute völlig unerfindlichen Gründen (Eitelkeit?) war ich auf der Suche nach einem æchten Hauswein (ich war jung und brauchte den Stoff), auf den ich, qua Namensidentität (Eitelkeit!), in Zukunft nicht würde verzichten können. Die ersten Funde waren nicht so substanziell wie erhofft: zwei eher uninspirierte bis lendenlahme rote Bordeaux-Gewächse (Montfort-Bellevue & Château Montfort De Larmevaille) und ein ähnlich schüchternes Pflänzchen gleicher Provenienz (Château Caze Montfort). Danach dann ein halbwegs sympathischer Vouvray demi-sec (Château de Montfort) – keine Dauerlösung. Meine montfortinische Queste fand zunächst dank Stuart Pigott im Sommer 2010 ein Ende, dieser Silvaner war genau das, was ich suchte. Im Dezember 2010 dann noch eine Trouvaille, Quelle abermals Pigott: „Für die Jury bot der 2008er »Montfort Pinot Brut« -Sekt vom Weingut Klostermühle in Odernheim […] das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Mit recht üppigem Körper, eindeutig herber Art, aber moderatem Säuregehalt bestach er durch Harmonie und Vielschichtigkeit: ein edler deutscher Sekt für den Bruchteil des Preises, den man für einen vergleichbaren Champagner bezahlen muss!“ [FAS, 12. Dezember 2010, S. 60]. Gelesen, bestellt – leider ausverkauft! Dann doch noch eine Kiste ergattert: Alleluia!

Und jetzt gleich noch einmal, weil auch als Rosé: Klostermühle Odernheim, Montfort »Monopol Held« Pinot Noir Rosé Brut 2013

Klostermühle Odernheim Montfort Pinot Noir Rosé Brut

What’s in a name? That which we call a rose …

Auch für meinen zweiten Rallye-Kandidaten (diesmal von der Nahe, und ab Weingut zu haben) dekretiere ich mit Gusto die Ganzjahrestauglichkeit: Rosé ist ein Rosé ist ein Rosé ist ein Rosé. Und über diesen herrlich sortentypischen Pinot noir mit Perlage wäre jedes weitere Wort (fast) zu viel, jedes nicht geleerte Glas (sicherlich) eines zu wenig.

Die Weinrallye ist ein monatlich wiederkehrendes Blogevent, Gastgeber der 89. ist Juliane Gassert auf EinfachWein.

Image Credits: Patrick Schlieker.

2 Kommentare zu “Weinrallye #89 – Sommerlaune Rosé

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