Der Negroni

Wer heute einen Negroni bestellt, beeindruckt damit weder Date noch Bartender, bekommt dafür aber sehr zuverlässig einen tollen Drink. Das ist so positiv, das reicht eigentlich auch schon. Mehr muss niemand zum Negroni wissen oder gar schreiben, besonders nicht in der netzbasierten Vergänglichkeitsform eines Blogs. Selbst das Rezept ist so einfach (zu gleichen Teilen Gin, italienischer Wermut und Campari), dass die Nennung zur Lächerlichkeit gerät. Und sein namensgebender Erfinder Don Camillo Negroni kommt zwar in der Barflyfiktion seiner selbstgeschaffenen wie fremdgewirkten Legende dem Heldentum so nah wie nur wenige Figuren der Cocktailhistorie. Aber mehr als der Mythos jenes Haudegens, der als ultimativer Sympathieträger gerade einem Spaghettiwestern entstiegen scheint, lässt sich nicht kolportieren. Die Historie kann nur am Denkmal des Genies rüttelt, das in einem Nebensatz einen tollen Drink unsterblich machte. Einzig diese Lektion sollte man noch neben aller geschichtlicher Unschärfen mitnehmen: Gin macht alles besser.

Negroni

Eis oder nicht? Beim Negroni gibt es wenig Regeln und viel Geschmack.

Um wirklich noch etwas zur Legendenbildung oder Wissensvermehrung beizutragen, braucht es mindestens ein Buch. Gaz Regan schafft in seinem den ganz großen Rundumschlag, die allumfassende Sammlung aller Entstehungsmythen, wie sie sich auch auf Wikipedia nachlesen lassen. Er versammelt die populärsten Macharten im Rahmen der kanonisierten Mischerei und all jene Variationen, die durch geschicktes Substituieren von Basis und Beiwerk entstehen. All das findet sich natürlich auch in extenso in, nun ja, Blogs. Wirklich weit kommt der ambitionierte Negronisto nur, wenn er endlich einsieht, dass sein Liebsdrinks jene Klippe überwunden hat, von der früher oder später alle Großartigkeiten fallen: Er ist nunmehr zur Kategorie mutiert.

Eine Welt mit Appletinis wird früher oder später auch eine Welt mit Applegronis sein. Ganz sicher hat das schon jemand gemixt. Wir googlen besser nicht, sonst müssen wir’s nachher noch trinken. Bei Regans Negroni-Buch findet sich eine so umfangreiche vorgetestete Auswahl auch noch so entfernter Verwandter von Don Camillos Kreation, dass am Inspirationspotenzial des bittersüßen Alleskönners keine Zweifel bleiben. Verlässlich hilft dabei die weitestmögliche Definition eines Negronis: etwas Starkes, etwas Süßes, etwas Bitteres – zu gleichen Teilen oder auch in variablen Verhältnissen. Skeptischere Geister als der Verfasser dieser Zeilen mögen anmerken, dass das schon die Definition von Cocktail ist.Aber was ist der Negroni, wenn nicht der Cocktail überhaupt – zumindest für seine Liebhaber?

Sinnvoller ist der Negroni als Referenz für Campari-Gemische, eröffnet er doch eine große weite Welt abseits von Campari-O-Saft und in der Schaffenssphäre echter Cocktails. Während Wermut allgegenwärtig neue wie alte Rezepturen beherrscht, bleibt der rote Bitter eine kreative Herausforderung und der Negroni der Maßstab. Warum sollte man sonst etwas anderes trinken? Nehmen wir den Negroni deshalb nicht als Kategorie, nicht als Horizont des Mixbaren, sondern als Ausgangspunkt, als ersten Schluck auf einem Weg, als Aperitiv zu einer Entdeckungsreise. Das ist viel besser, als vor lauter Negronis den Bitter nicht mehr zu schmecken.

Wer diese Reise nicht ohne Landkarte und GPS wagen möchte, dem sei ein Rezept gegönnt.

The Negroni von Don Camillo Negroni und Fosco Scarselli etwa 1920

3 cl London Dry Gin (Beefeater 24)
3 cl Roter Wermut
3 cl Campari

Zitronen- und/oder Orangenzesten oder -schnitze als Deko.

In einem Tumbler alle Zutaten aus Eis kurz verrühren. Mit Zesten nach Wahl kombinieren. Bei Gin und Wermut darf experimentiert werden. Auch Punt e Mes macht sich gut im Negroni.

Image Credits: Patrick Schlieker.

2 Kommentare zu “Der Negroni

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